Danke

Liebe Oma,


das zweite Wort und schon das erste Schmunzeln. Ob Dein Vorname nun Alfreda oder Alfrieda lautete und in welchem Dokument welcher Name stand, werde ich wahrscheinlich nie verstehen. Für die meisten warst du einfach nur “s’ Alfredl”. Für meine Generation und sogar deine eigenen Kinder, warst du “die Oma”. Für die nächste Generation - deine Urenkel - warst Du schon zur “alten Oma” geworden.


Ich glaube nicht, dass dein Leben leicht war. Von Deiner Kindheit und Jugend in Oberzell weiß ich kaum etwas. Ich kann nur erahnen, was die Kriegsjahre Euch abverlangt haben.
Für die damalige Zeit wurdest du erst spät - mit mehr als 30 Jahren - Ehefrau und Mutter
- und das auch noch am anderen Ende der Insel.
Oft hast du erzählt, dass Deine Mutter zu deinen Plänen sagte: “Musch Du jetzt no in die Bradle?”
Ich bin natürlich froh, dass Du diesen Weg gegangen bist.


Du hattest einen starken Mann an deiner Seite. Das das nicht immer leicht war, weiß ich. Dennoch habt ihr einen Weg für Euch gefunden und mehr als 50 Jahre Euer Leben geteilt.
Mich freut es, dass du nach Opas Tod noch einmal ein paar schöne, ruhige und selbstbestimmte Jahre hattest. Solange Opa noch lebte, war nicht nur klar, wer das Fernsehprogramm festlegte. Erst zu später Stunde war deine Fernseh-Zeit gekommen.
Neben dem Musikantenstadl war Sport immer Deine große Leidenschaft. Egal ob, Fußball, Boxen oder Eiskunstlauf, bis zu Deinem letzten Tag warst Du bestens informiert. Es rührt mich und bedeutet mir sehr viel, dass Marcel und ich vor wenigen Wochen noch mit Dir gemeinsam das WM-Spiel Deutschland gegen USA geschaut haben.
Und ob er jetzt Müller oder Möller heißt, ist dabei ja auch egal.


Dass was dir im Alter vergönnt war, bekommen nicht viele. Du warst weiterhin in das Tagesgeschehen eingebunden. Du hattest Aufgaben, die du erfüllt hast. Du konntest sehen, wie dein Enkel Marcel mit all seiner Energie den aufgebauten Betrieb weiterführt. Deine orangene Küche war Anlaufstelle und Treffpunkt. Marcel besuchte dich jeden Abend auf eine Tasse Tee. Man hat gespürt, wie viel dir das bedeutet hat.


Aus heutiger Sicht war deine Welt klein. Die “Bradle” war deine Heimat. Ich kann gar nicht sagen, wie oft du in den letzten Jahren über die Allee hinausgekommen bist. Wahrscheinlich kann man es an einer Hand abzählen. Nichtsdestotrotz hast du es einmal bis in die ewige Stadt - nach Rom - geschafft. Nennen wir es “widrige Umstände”, die dir diese Reise ermöglicht haben. Dass du allein über den Petersplatz gelaufen bist - wie oft hast du uns diese Geschichte erzählt?
Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich an deinen Atlas in der Küche denke. Wahrscheinlich gibt es ein Viertel der dort aufgeführten Länder und Landesgrenzen so schon gar nicht mehr. Trotzdem wolltest Du immer genau wissen, welcher Enkel sich gerade wo aufhält.
Räumlich hat sich dein Leben auf einen kleines Stück Land begrenzt. Dass die Au aber nicht das zentrum der Welt ist, war dir durchaus bewusst. Bis zuletzt hast Du die Nachrichten aufmerksam verfolgt und mit uns darüber gesprochen.
Jetzt spielen Raum und Zeit  für dich keine Rolle mehr.


Ich behalte viele Bilder von dir im Kopf:
Bei den meisten bist du in deiner Küche oder sitzt auf dem Bänkle unter ’m Bömmle. In der Küche beugst du dich über den Tisch und liest den Südkurier und alle sonstigen Zeitschriften von der ersten bis zur letzten Seite. Die Brille auf deiner Nase könnte dabei nicht schiefer sitzen.
Sonntags und an Winterabenden läuft das Radio - oft nicht mit bestem Empfang - und du knackst Walnüsse mit einer Geduld und Zufriedenheit, wie ich sie sonst nirgends mehr erlebt habe.
Ein weiteres Bild gehört in den Herbst. Ich sehe dich, wie du mit einem Eimer in der Hand um das Haus läufst. Gebückt, nein, ehrlicherweise muss man sagen “krumm”, wie ich dich kennengelernt habe. Es winded und du trägst eine alte Trainingsjacke von deinem Sohn auf deren Rücken die Worte “I like Windsurfing” stehen. Das ist so einer der Momente, in dem ich das Gefühl hatte, dass du die coolste Oma der Welt bist.


Dass du auch mal etwas eigen und - insbesondere im Bezug auf Besorgungen sowie die Hofpflege - auch manchmal dickköpfig sein konntest, brauche ich hier nicht zu verschweigen. Dem steht so viel Gutes gegenüber, dass es nicht ins Gewicht fällt.


Du lebtest in einer wunderschönen Umgebung, jedoch sehr bescheiden. Aus Besitz scheinst du dir nie viel gemacht zu haben. Trotzdem hast du uns immer viel gegeben. Vordergründig waren es deine Küchle und Berge von ausgemachten Nüssen. Diese haben mich sogar während meiner Zeit in Berlin erreicht.
Am Ende des Tages ist der Wert dieser Gesten für uns unbezahlbar.


Was du hinterlässt, sind unsere Erinnerungen an dich und dein Wesen. Für mich sind das Bescheidenheit, eine Form von Humor, die sich wahrscheinlich nur mit deinem verschmitzten Lächeln beschreiben lässt und das Wissen, dass Menschen nichts mehr verbinden kann, als eine warme Küche, ein Tisch und etwas zu essen.


Diese Zeilen habe ich dir nie geschrieben. Das bereue ich ein wenig. Ich weiß aber auch, dass du keine Frau der großen Worte warst. Wahrscheinlich wäre dir die Situation peinlich gewesen. An diesem Tag will ich dies trotzdem vorlesen.


Die Küche ist nun leer. Der Ofen bleibt kalt - keine Küchle, keine Nüsse mehr. Ein Stück Heimat und Wärme ist gegangen.
Wir sind hier um zu trauern. Das wird nicht anders gehen, dafür ist die Lücke zu groß, dies sich auftut.
Nichtsdestotrotz sollte die Trauer nicht allzu lange anhalten. Die Reihenfolge stimmt. Dir geht es jetzt gut. Du bleibst uns in Erinnerung.


Danke, Oma. Vergelt’s Gott!



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